Erzeugen vs. zeugen

(schwer)
Wenn Väter Kinder „zeugen“, was tun dann eigentlich die Mütter?
Die Mutter, sag ich dir, hat, was gezeugt ist,
nicht erzeugt.
Die Menschen irren, die der Ähnlichkeit der Worte glauben.
Aischylos
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Kommentar

Vielleicht sind auch Ihnen solche prämodernen Theorien zur Rollenverteilung beim Zeugungsvorgang bekannt? Berichten Sie.

(„Die Menschen irren, die der Ähnlichkeit der Worte glauben“ ist übrigens ein Satz, den ich immer an die Tafel schreibe, wenn meine TN und TNinnen bei ausgeschaltetem Hirn und völlig kontextfrei Bedeutungen von „Ähnlichkeiten“ herleiten: aufhören ist das Gegenteil von hören, anfangen das Gleiche wie fangen? Dabei sind zeugen und erzeugen natürlich semantisch viel näher beieinander. Aber es kommt ja auch auf einen bekanntlich „kleinen Unterschied“ an.)
Antike

Autor und Werk

Aischylos, 525-456, der erste der drei berühmten Tragödiendichter im alten Griechenland.
Orestie, 458 v.Chr. aufgeführt.

In der Übersetzung von Walter Jens, Kindler 1979.

Lösung

Aischylos hat sich, s.u., wirklich viel Mühe gegeben, den unterschiedlichen Anteil der Geschlechter anschaulich zu machen. Es geht aber auch um viel; der hier sprechende Gott Apollo will nämlich beweisen, dass sein Mandant Orest zwar die Mutter getötet hat, aber diese Tat noch eher zu rechtfertigen ist als der Gattenmord, den eben diese Mutter zuvor begangen hatte. Hier also das Plädoyer:

„Sie nährt den Keim, bewacht die Frucht:
Doch zeugen tut allein der Mann.
Er schafft, sie hütet:
Gibt dem Gast,
Den ihr der Vater schenkte,
Herberge in ihrem Leib
Und schützt derart das anvertraute Pfand,
Des Vaters Kind,
Für Gott, der es bewahren will.“

Immerhin lautet die nächste Zeile:

„Ihr glaubt mir nicht?“

Dem Dichter war wohl doch nicht ganz wohl bei seiner Theorie.

Verben

zeugen erzeugen irren glauben
20190505


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